1 - Unschärfen in Zeiten der Eindeutigkeit. Ambiguität, Indifferenz und Dissimulation im konfessionellen Zeitalter [ID:3748]
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Diese Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da ich die Ehre habe, mit dem heutigen Vortrag unserer

Ringvorlesung zu Ambiguïtät als Chance und Problem zu eröffnen, darf ich mit einer

grundlegenden Frage anfangen. Was ist eigentlich Ambiguïtät?

Das Wort ist schnell erklärt. Ambiguïtas, das ist im klassischen Latein die Zweideutigkeit.

Im Latein des Mittelalters dann auch der Trugschluss, der Zweifel. Und genau darum geht es in unserer

Ringvorlesung um Unklarheiten, um Zweifelsfälle, um Zweideutiges, um Uneindeutiges. Am Erlanger

Zentrum für Anthropologie der Religion hat eine Arbeitsgruppe das Phänomen der Ambiguïtät

interdisziplinär beleuchtet und auch in der Geschichtswissenschaft fand diese Kategorie

Anwendung. In meinem eigenen Fach, der Geschichte der frühen Neuzeit, konzentriert sich die Debatte

vor allem auf einen Zeitabschnitt, auf das sogenannte konfessionelle Zeitalter. Gemeint ist damit die Zeit

von der Reformation bis ins frühe 18. Jahrhundert, jene etwa zwei Jahrhunderte also, in denen die

Konfession eine zentrale Rolle für Politik wie Gesellschaft spielte. Seit mit der lutherischen

Reformation erst zwei mit dem Calvinismus dann gleich drei Konfessionen mit jeweils exklusiven

Wahrheitsanspruch in Konkurrenz zueinander standen, stellte sich die Frage nach der religiösen

Eindeutigkeit völlig neu. Die sich ausformenden Konfessionskirchen verlangten Eindeutigkeit.

Eindeutigkeit im Bekenntnis, dass nun in allen Konfessionen detailliert ausgearbeitet, in Schule

und Kirche gelehrt und im Amtseid der Pfarrer und Staatsbeamten beschworen werden musste.

Eindeutigkeit aber auch in der Lebensführung, die den Vorstellungen und Vorgaben der jeweiligen

Kirche zu entsprechen hatte. Hand in Hand mit den weltlichen Obrigkeiten, die sich von der

Homogenisierung und Disziplinierung ihrer Untertanen einen politischen Nutzen versprachen, betrieben

die Konfessionskirchen das, was in der frühen Neuzeitforschung als Konfessionalisierung

bezeichnet wird. Die Schaffung neuer in Leere wie Leben einheitlicher, klar und erscheidbarer

konfessioneller Großgruppen. Dass für Ambiguität gerade in konfessionellen Dingen nun schwere Zeiten

anbrachen, kann man sich denken. Die große Mehrheit der Christen im Alten Reich wird sehr genau

gewusst haben, welcher Konfession sie angehörte und die allermeisten Menschen dürften auch

bereit gewesen sein, den Vorgaben ihrer Konfession in Glaubensfragen wie Lebensführung wenigstens

im Prinzip zu folgen. Auch das zeigt sich in den erhaltenen Selbstzeugnissen der Zeit. So stilisierten

sich nicht wenige Autoren als aufrechte Lutheraner oder eifrige Katholiken. Allerdings sind solche

Positionierungen nicht nur als Selbstbeschreibung im Modus der konfessionellen Eindeutigkeit zu lesen.

Auffällig oft demonstrieren die Autoren ihr akzeptiert sein im konfessionellen Lager,

indem sie auf ihre Kontakte zur kirchlichen Prominenz verweisen. Und auch andere Beschreibungsformen

des eigenen konfessionellen Wohlverhaltens dürften als Nachweis von Status und Anerkennung zu lesen

sein. Wenn aber die konfessionelle Selbstverortung oft mit einer sozialen Positionierung der eigenen

Person verbunden ist, könnte das Bekenntnis zur Eindeutigkeit auch andere als religiöse Motive

gehabt haben. Mit diesem Zweifel müssen wir leben. Es gibt in den Quellen der Zeit ganz offensichtlich

Grenzen des Sagbaren, Grenzen die markieren, was problemlos zum Ausdruck gebracht werden konnte und

was einfach als nicht denkbar, nicht vorstellbar und damit eben auch als nicht sagbar galt. So

fällt zunächst auf, dass konfessionelle Uneindeutigkeit sehr oft im Modus des Gerüchts

und der Unterstellung verhandelt wird. Gerade um 1700 kursierten im Alten Reich zahlreiche Gerüchte,

wer alles demnächst zu konvertieren gedenke oder vielleicht sogar schon konvertiert sei.

Solche Unterstellungen konfessioneller Uneindeutigkeit sollten sich nicht selten

bewahrheiten, so etwa im wohl berühmtesten Fall, im Fall des sächsischen Kurfürsten und

polnischen Königs Augustus Starken. Wie dessen Konversion von 1697 von den Zeitgenossen wahrgenommen

wurde, bringt das viel zitierte Wort des Schriftstellers Johann Michael von Lohen zum Ausdruck.

August sagt man, hat die Religion verändert, also gewechselt. Ich würde es zugeben, wenn ich

gewiss wüsste, dass er zuvor eine gehabt hätte. Freundlich gemeint war diese Einschätzung mit

nichten. Ganz falsch ist sie aber wohl auch nicht. Der Kurfürst des protestantischen Kur Sachsen war

vor allem deswegen katholisch geworden, um auch noch die Krone des katholischen Polen für sich

zu gewinnen. Er selbst machte sich nur wenig Mühe, dies zu verbergen. In erstaunlicher Offenheit

Presenters

Prof. Dr. Birgit Emich Prof. Dr. Birgit Emich

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:27:27 Min

Aufnahmedatum

2013-10-30

Hochgeladen am

2014-04-15 14:33:44

Sprache

de-DE

Das konfessionelle Zeitalter gilt als Zeit der Eindeutigkeit: Im Europa des 16. und 17. Jahrhundert war eine ambige, d.h. unklare, schwankende Haltung gegenüber den konkurrierenden Konfessionskirchen nicht vorgesehen. Der Vortrag zeigt jedoch, dass sich unter dem Druck des Glaubensstreites Ambiguität immer wieder als Segen erwies.

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